Vertrauensvolle KI für den Messradsatz
Um die dynamischen Kontaktkräfte zwischen Schiene und Rad zu messen, setzt die SBB sogenannte Messradsätze ein. Sensoren auf den Rädern messen die Kräfte. Einfacher ist es, die Beschleunigungen auf dem Drehgestell zu messen und darauf mit KI-Algorithmen die Kräfte zu berechnen. Die Algorithmen müssen aber jederzeit nachvollziehbar und zuverlässig die richtigen Werte liefern.
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Ausgangslage
Ein ICN-Messzug misst regelmässig die Rad-Schienenkräfte der bogenschnellen Strecken auf dem SBB-Schienennetz – beispielsweise entlang des Jurasüdfusses. Die Sensoren (Messradsätze) auf dem sich drehenden Rad sind wartungsaufwendig.
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Lösung SCS
SCS entwickelte zusammen mit der Fachhochschule Bern einen vertrauensvollen Machine Learning Algorithmus, der die Kräfte anhand von Beschleunigungssensoren auf dem Drehgestell berechnet. Die berechneten Werte sind jederzeit nachvollziehbar und zuverlässig für alle Gleisgeometrien in der Schweiz.
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Mehrwert
Die wartungsaufwendigen Sensoren auf den sich drehenden Rädern können grösstenteils weggelassen werden. Es braucht nur noch einfache Beschleunigungssensoren auf dem Drehgestell. Dank der nachvollziehbaren Entwicklung des Machine Learning Algorithmus sind die berechneten Werte zuverlässig und sicher.
Sensoren am Rad
Der ICN fährt dem Jurasüdfuss entlang – einer schönen, aber auch kurvenreichen Strecke. Um die Sicherheit der Strecke zu gewährleisten, werden die Kräfte zwischen Rad und Schiene regelmässig gemessen. Dazu nutzt die SBB einen mit Sensoren ausgerüsteten ICN. Die Sensoren sind an einem der Drehgestelle angebracht. Auf diesem Drehgestell messen Messradsätze auf den sich drehenden Rädern die Kräfte am Rad. Weitere Sensoren sind auf dem Drehgestell selbst angebracht.
Die Sensoren auf den Rädern sind wartungsintensiv. Es wäre schön, wenn die Kräfte nur aus den Sensoren auf dem Drehgestell gemessen oder berechnet werden könnten. Der physikalische Zusammenhang der Kräfte auf den Rädern und den Beschleunigungen am Drehgestell ist aber komplex. Dies lässt sich nicht unkompliziert analytisch umrechnen.
Machine Learning Algorithmus
Eine Möglichkeit wäre, einen Machine Learning Algorithmus einzusetzen. Die KI kann mit komplexen Systemen umgehen. Sie wird mit den vorhandenen Daten trainiert und die physikalischen Zusammenhänge müssen nicht bekannt sein. Allerdings ist der Algorithmus eine Black Box. Man weiss nicht genau, wie die Ergebnisse berechnet werden. Für die Messfahrten der SBB ist aber wichtig, dass die Ergebnisse jederzeit richtig sind. Wie lässt sich also ein KI-Algorithmus auf einem Messradsatz einsetzen?
Die KI ist wie ein Pilot
Die KI lässt sich mit einem Pilot vergleichen, der ein Flugzeug fliegt: Auch der Pilot kann Fehler machen. Trotzdem gilt Fliegen als sicher. Das liegt daran, dass der Pilot gut ausgebildet ist, dass er durch Kommunikation Vertrauen vermittelt und sich an Standards und Prozesse hält. Zudem wird das Risiko sowohl durch Technik wie auch Verfahren so klein wie möglich gehalten. All dies wird regelmässig geprüft und nachvollziehbar dokumentiert.
Vertrauensvolle KI
Übertragen auf einen Machine Learning Algorithmus bedeutet es, dass KI dann vertrauensvoll ist, wenn der Algorithmus richtig trainiert wurde, die Resultate erklärbar sind, Standards und Prozesse eingehalten werden und das Risiko minimiert wird. All dies muss jederzeit nachvollziehbar sein.
Beim Messradsatz muss der Algorithmus also gezielt in denjenigen Bereichen trainiert werden, die im Alltag vorkommen auf dem Gleisnetz der SBB. Das sind Kurven mit Radien von 250 m und grösser, sowie Querbeschleunigungen bis 1.8 m/s2.
Die berechneten Werte müssen von Experten der SBB als plausibel betrachtet werden, müssen also erklärbar sein. Zudem wird jederzeit dokumentiert, mit welchen Daten der Algorithmus trainiert wird und welches Datenmodell mit welchen Codes trainiert wurde.
Risiko minimieren
Um das Risiko zu minimieren, wird eine Risikoanalyse gemacht und beispielsweise die Plausibilität der Sensordaten überprüft. So könnte es sein, dass der Sensor zwar Daten liefert, aber die falschen Werte – der Sensor driftet. Da der Zug immer dieselbe Strecke fährt, lässt sich dies recht einfach kontrollieren, indem die Werte verglichen werden mit vorherigen Fahrten. Wenn die Werte konsequent zu tief liegen wie im Beispiel unten, muss wahrscheinlich der Sensor kalibriert oder genullt werden.
Vertrauensvolle KI im Neigezug
Durch den geschilderten, jederzeit nachvollziehbaren Prozess ist es möglich, KI-Algorithmen einzusetzen, um die Rad-Schienenkräfte anhand von Beschleunigungssensoren zu berechnen. Die Lösung wurde zusammen mit der Fachhochschule Bern für die SBB entwickelt. Die Fachhochschule entwickelte den ursprünglichen Algorithmus, die Entwickler von SCS haben den Code modularisiert, aufgeräumt und in die automatisierte Datenverarbeitungsplattform RCM-PP integriert. Zurzeit wird der KI-Algorithmus in einer Testphase auf seine Zuverlässigkeit getestet. Die Messradsätze – die Sensoren auf den sich drehenden Räder – werden weiterhin vereinzelt zur Validation eingesetzt.